2. Studienreise des Instituts für Historische Studien von 14. bis 19. Oktober 2018
Tag 1 – Der Grenadier
Stolz und unerschütterlich steht er da, den Kopf erwartungsvoll gen Westen – in Richtung des heranrückenden Feindes – gerichtet. Er ist gerüstet, hat seine Bewaffnung ergriffen, die Ausrüstung geschultert und die vorgeschriebene Adjustierung angelegt. Der Einsatzbefehl wird ihn entweder in die Festung Malborget oder an den Predil-Pass abkommandieren. Dort wird er versuchen, den Vormarsch der feindlichen Truppen – die besten und gefürchtetsten jener Zeit – aufzuhalten. In diesem Mai des Jahres 1809 werden jedoch er und viele seiner Kameraden, heldenmütig und mit großer Tapferkeit bei der Verteidigung des Vaterlandes gegen den übermächtigen Feind, ihr Leben lassen oder in Gefangenschaft geraten. Spätere Generationen werden ihn mit großem Aufgebot auf einen Sockel stellen (1909) und in Büchern den Schauplatz seiner heldenhaften Verteidigungskämpfe, als die „Thermopylen Österreichs[1]“ charakterisieren. Über die Jahre hat er Patina angesetzt und sich durch den Lauf der Geschichte und das Wachstum der Vegetation, den Blicken und der Wahrnehmung der Menschen entzogen. Schließlich wurde der Wald rund um ihn gelichtet, sodass er heute wieder seinen Blick ungehindert in das Tal zu seinen Füßen und in Richtung des ehemals heranrückenden Feindes richten kann.
Unmittelbar nach der Grenze, beinahe an der Autobahnabfahrt Tarvis steht das Denkmal des kaiserlichen, österreichischen Grenadiers in Gedenken an die Schlachten im Mai 1809 gegen Napoleons Truppen. Schon dieses erste Ziel unserer Reise erwies sich als ein spektakulärer Höhepunkt, denn wenn man vor dem Monument steht, ist man wahrlich von seiner Größe und Imposanz beeindruckt. Lange Zeit konnte man weder das Monument selbst, noch von diesem aus, die Umgebung sehen, da der Ort rundum mit dichtem Wald umgeben war. Heute bietet sich wieder eine schöne Aussicht und dem historisch interessierten Besucher fällt es nicht schwer, am Fuße des übermächtigen Kriegers in den Bann der damaligen Zeiten gezogen, die Schlachten und die taktischen Gegebenheiten von Seinerzeit, nachzuzeichnen.
Nach diesem verheißungsvollen Beginn der 2. Studienreise des Instituts für Historische Studien (IfHS), strebten wir, gemäß dem Motto des ersten Reiseabschnitts „Auf den Spuren des FML Urbanski“, unserem Tagesziel San Dona di Piave entgegen. Die Reise wurde von den Mitgliedern des IfHS gemeinsam ausgearbeitet und vorbereitet und durch unsere Kollegin Petra Stadler herausragend organisiert. Den gesteckten Zielen folgend, sowie dem Gedenken an das Ende des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren Rechnung tragend, haben wir die Reise neben dem zuvor genannten Motto auch unter dem Gesichtspunkt der zwölf Isonzo-Schlachten konzipiert, sodass uns der zweite Teil auch in die Region um Görz führte. Als wichtigstes Kriterium für die Reise wurde, neben den Besichtigungen und der Gewinnung neuer Erkenntnisse, das gemeinsame erleben und erfahren (im treffendsten Wortsinne) erkannt, sodass wir uns in der Planung schon frühzeitig entschlossen, einen Mietwagen zu nehmen, der uns allen platz bot. Diese Entscheidung erwies sich als goldrichtig, denn wir konnten die gesammelten Eindrücke, Erkenntnisse aber auch die emotionalen Aspekte auf den An- und Abfahrten gemeinsam Revue passieren lassen und mit unserem historischen Fachwissen ergänzen.
Nachdem wir also den verheißungsvollen Beginn beim kaiserlichen Grenadier und kurze Stops in Malborget (Fort Hensel) und Pontafel (dort war die Reichsgrenze mit den nachwievor vorhandenen uralten Grenzsteinen – wer weiß heute schon ohne zu googlen, was ein Myriameter ist? Ein Myriameter entspricht 10.000 m) hatten, verlief die Weiterfahrt bis San Dona so richtig historisch eingestimmt und vergnüglich. Dort angekommen erwies sich das Auffinden des Hotels jedoch als trickreich, denn durch ein im Gange befindliches Stadtfest, gab es Straßensperren und ein entsprechendes Verkehrsaufkommen auf den Ausweichrouten. Nach einem kurzen Stadtrundgang in San Dona haben wir den Abend bei einem guten Essen ausklingen lassen.
Tag 2 – Die Spuren des FML Urbanski
Ab 15. Juni 1918 versuchten die k.u.k-Truppen in ihrer letzten Angriffsschlacht den Piave zu überschreiten, die Italiener aufzureiben und so den Krieg doch noch siegreich zu beenden. FML Urbanski, der Großvater unseres Ehrenpräsidenten, befehligte damals die 46. Schützendivision. Im Verlauf der Schlacht gelang es auch tatsächlich Teilen der ö.-u.-Armee den Piave zu überschreiten, kurzzeitig am rechten Ufer einen Brückenkopf zu bilden und diesen ein paar Tage zu halten. FML Urbanski gelangte in diesen dramatischen Tagen im Zuge einer Erkundungsmission für den bevorstehenden Einsatz seiner 46.SchD nach San Dona und an den Piave um dort die geeignetsten Einsatzzonen zu eruieren.
Nach dem Frühstück und einem brillanten, die hohe Kunst des Dozierens in allen Facetten ausreizenden Vortrags durch unseren Präsidenten – die Kriegslage am Piave im Allgemeinen und die unmittelbare Situation im Raume San Dona im Speziellen vortrefflich ausleuchtend – konnten wir nach einem kurzen Fußmarsch (unser Hotel lag strategisch ideal) den Piave erreichen und die Ereignisse vor 100 Jahren auch vor Ort Revue passieren lassen. Ausgestattet mit historischem Kartenmaterial erkundeten wir die Ufer des Piave und waren in der Lage, zielgenau die jeweiligen Stellen zu finden die einerseits in der Familiengeschichte unseres Ehrenpräsidenten von Bedeutung sind, aber andererseits auch für die taktischen Gegebenheiten der damaligen Ereignisse eine hohe Aussagekraft haben. Eingeprägt haben sich uns allen die Schilderungen aus den Original-Aufzeichnungen des FML, die dieser in seinen Kriegserinnerungen nachdrücklich beschrieben hat. Besonders ein Ereignis hat uns lange beschäftigt. In diesem beschreibt FML Urbanski während seiner Erkundungsmission den Versuch, stets unter feindlichem Beschuss stehend, den Piave unter der Eisenbahnbrücke bei San Dona zu überwinden, um seinem Korps-Kommandanten den Abbruch der Schlacht aufgrund voraussichtlicher Erfolglosigkeit, nahezulegen. Eben an dieser Eisenbahnbrücke sind auch wir, 100 Jahre später, gestanden und haben uns von den Berichten aus den Lebenserinnerungen des FML, von großer Ehrfurcht begleitet, in die dramatischen Ereignisse von damals vertiefen können.
Der Piave, der heute weitestgehend ein gezähmter Fluss ist, ist im Abschnitt von San Dona von wildem Gestrüpp, teilweise dichtem Buschwerk und auch hohem Baumbestand auf beiden Uferseiten eingesäumt, sodass ein direkter Zugang oder Blick auf den Fluss nur bisweilen möglich war. An so machen Uferstellen meinten wir, andeutungsweise noch die Geländeformationen von ehemaligen Laufgräben und Stellungsverläufen ausmachen zu können. Die Dankbarkeit in einer Zeit zu leben in der es möglich ist, in vielen Regionen Europas in friedlicher und unbehelligter Weise spazieren zu können (wo noch vor hundert Jahren größte Menschenopfer gebracht wurden) hat uns da erstmals tief berührt und sollte uns im Verlaufe der gesamten Reise an vielen Orten immer wieder begegnen.
Nach diesem ersten Herantasten an die Region und deren Geschichte, kehrten wir zum Hotel zurück und machten uns mit dem Auto auf den Weg zur geplanten Nachmittagsetappe. Entlang des Piave fuhren wir stromaufwärts in Richtung des Montello, dem Ziel für den Nachmittag. Neben dem rechten Piaveufer im Raum San Dona, war auch der Montello ein Angriffsziel, welches die ö.-u.-Truppen im Juni 1918 für ein paar Tage einnehmen und halten konnten (von 15. bis 20. Juni 1918). Obwohl es unseren Truppen damals gelang, beinahe zwei Drittel des Berges einzunehmen, konnten diese beim italienischen Gegenangriff nicht gehalten werden und man musste die Front wieder hinter den Piave zurücknehmen. Unser Ansinnen war es, die Verhältnisse vor Ort kennenzulernen und gegebenenfalls geographische und topographische Einflussfaktoren für den Schlachtenverlauf herauszuarbeiten.
Wider Erwarten wurden wir jedoch während der Fahrt mit einem infrastrukturellen Problem konfrontiert, das uns, Anfangs als Ärgernis im weiteren Verlauf der Fahrt (und Reise) jedoch als Quell ungeahnter Heiterkeit, vollkommen unvorbereitet traf: Des Wagens serienmäßiges Navigationsgerät. Bereits kurz nach Inbetriebnahme stellten wir dessen offensichtliche Bedienfeindlichkeit fest, mussten durch Fehlfunktionen mehrere Neustarts vollführen und verloren zu guter Letzt den übriggeblieben Rest an Grundvertrauen durch fehlgeleitete Ansagen. Wie gut das es noch die Navigation mittels zwei weiterer Mobiltelefone gab, die jedoch (aufgrund unterschiedlicher Betriebssysteme) auch keine synchronen Informationen zur gewünschten Fahrtroute lieferten. Höhepunkt des Navigations-Wahnsinns (jawohl!) war, die gleichzeitige Aufforderung von zwei Handys und einem Auto-Navi in drei unterschiedliche Richtungen zu fahren. Im Angesicht dieser „Orientierungslosigkeit“ von beinahe babylonischen Dimensionen, hat unser Präsident selbstlos die Initiative ergriffen und die gute alte Landkarte als letztes und vertrauenswürdigstes Qualitätssicherungsinstrument für die Navigation zu Hand genommen, sodass nun von 5 Personen im Wagen, 4 mit der Navigation (inkl. Fahrer) beschäftigt waren. Nach erfolgreicher Beseitigung der hinderlichen Begleitumstände konnten wir uns wieder auf den eigentlichen Zweck der Reise konzentrieren und strebten dem Ziel entgegen. Immer wieder an historischen Denkmälern oder anderen erinnerungswürdigen Punkten haltend, haben wir viele Eindrücke und Wissenswertes über das Kampfgeschehen am Piave erfahren. Unter anderem erreichten wir jene Stelle am Fluss, an der seinerzeit Ernest Hemingway, als Soldat des amerik. Roten Kreuzes verletzt wurde, wir verweilten am Denkmal für die britische 7. Infanterie Division und setzten zu Fuß auf eine der Piave-Inseln über, an der vor 100 Jahren erbittert gekämpft wurde (dies war leicht möglich, da der Piave an dieser Stelle fast kein Wasser führte). Als wir schließlich den Montello erreichten, mussten wir feststellen, dass das auf seinem Gipfel errichtete Beinhaus für die am Piave gefallenen Soldaten, montags nicht geöffnet hat! Das Areal rund um das Monument wurde als „Zona militare“ ausgewiesen und ist umfassend eingezäunt, sodass dem Besucher nicht einmal der Zugang auf das Gelände möglich ist. Das versperrte Areal hat uns nicht weiter beschäftigt und wir haben, ob der vielen anderen, interessanten und eindrucksvollen Gedenkstätten, vergnüglich den Rückweg nach San Dona angetreten.
Tag 3 – Der Grappa
Gut ausgeruht, verköstigt und umfassend ins Bild gesetzt, haben wir als Ziel des heutigen Tages die Besichtigung des Monte Grappa und des dort befindlichen Denkmals für die österreichisch-ungarischen und italienischen Soldaten und zuvor, einen Museumsbesuch in Vittorio Veneto auserkoren. Das besagte Museum beherbergt eine recht vielseitige Sammlung und hat auch einen ansprechenden Umfang, die Exponate sind jedoch – was sich als sehr informationsfeindlich herausstellt – wenig bis gar nicht beschildert und beschrieben. Man erfährt einiges über die österreichische Besatzungszeit in der Region und vor allem über den großen Sieg des italienischen Heeres im Oktober 1918 sowie deren ruhmreiche Heerführer. Nach einem ausgezeichneten Cappuccino im besten Café am Platz haben wir Vittorio Veneto hinter uns gelassen und fuhren auf der berühmten Prosecco-Straße zum Monte Grappa. Entlang idyllischer Weinberge und malerischer Dörfer genossen wir bisweilen herrliche Aus- und Einblicke in diese Region. Über immer engere Serpentinen zog sich die Straße kaskadenförmig den 1775m hohen Monte Grappa hinauf. Da unser Bus die Straße formatfüllend in ihrer gesamten Breite benötigte und die Kurven nicht eingesehen werden konnten, war im Wagen mit dem Anstieg der Seehöhe ein Abfallen der Gesprächsintensität zu registrieren. Vor jeder Kurve die Hupe betätigend, erklommen wir – rechts die Schlucht, links der Berg – nach der nächsten Kehre umgekehrt, langsam den Gipfel. Da – ein Bocksprung des Wagens, gefolgt von einem kurzen Schlag, schon hörten mich alle (als Fahrer) das S-Wort rufen um kurz danach, mit „Ein Platter – rechts vorne!“ den Wagen anzuhalten. Die sofortige Bestandsaufnahme des Ehrenpräsidenten, als Beifahrer hatte dieser den kürzesten Weg, bestätigte die erste Vermutung. Ein Reifenschaden auf 1700m Seehöhe, weit und breit kein Mensch – na super! Jedoch fördern Ereignisse dieser Art die Gruppendynamik und schweißen zusammen. Nach einer kaum erwähnenswerten Irritation, haben wir sofort das Fahrzeug nach Wagenheber und Ersatzreifen durchsucht, alles gefunden und mit der Schadensbehebung begonnen. Unter erschwerten Bedingungen (Hanglage, wenig Platz – ich erinnere an das große Auto und die enge Straße) verlief der Reifenwechsel relativ problemlos und nach 15min konnten wir auch schon weiterfahren.
Monte Grappa – ein Synonym des 1. Weltkriegs für beide Seiten. Heldenmütiges, erfolgreiches, mit großem Blutzoll beflecktes Verteidigen sowie ein grandioser, verheißungsvoller Schlachtensieg drüben; erfolgloses, ohnmächtiges, mit großem Blutzoll beflecktes Anrennen sowie die letzte große Niederlage hüben. Der Gipfel konnte von den ö.-u-Truppen nie eingenommen werden und blieb immer in italienischer Hand. Heute beherbergt der Monte Grappa ein umfangreiches Freilichtmuseum mit kilometerlangen Wanderwegen entlang der ehemaligen Front und auf seinem Gipfel einen einzigartigen Heldenfriedhof. Dieser ist ein grandioses Beispiel für die in dieser Zeit (1920iger und 1930iger) in Italien übliche Bauweise. Pompös und monumental werden hier die Gefallenen geehrt und an deren Heldenmut gedacht. Auch für die österreichisch-ungarischen Gefallenen wurde eine würdevolle Gedächtnisstätte errichtet, die in Architektur und Formgebung jener der italienischen ähnelt, aber weitaus geringer dimensioniert ist. Über eine lange, schmale Treppe gelangt man vom Parkplatz zum zentralen Bereich des sakralen Bauwerks und ist beeindruckt über dessen Dimensionen sowie dem ungehinderten Fernblick in alle Richtungen. Leider war das Wetter an diesem Nachmittag bewölkt, sodass wir die Umgebung in der Ferne nur schemenhaft wahrnehmen konnten. Dessen ungeachtet, entsprach jedoch die Wolkendecke mit den vereinzelt durchbrechenden Sonnenstrahlen und der kühle Wind auf merkwürdige Weise einer inneren Erwartungshaltung, die man für Stätten dieser Art entwickelt. Ehrfurcht, Stille und Vergänglichkeit sind der Gefühlsmix der im Angesicht des Bauwerks, der vielen tausend Toten und der unendlichen Bergwelt eine Atmosphäre erschafft, die in einem mitfühlend-befreienden Trost gipfelt, dass dem Andenken der in den Tod getriebenen Männer zumindest in Würde gedacht wird. Außer Frage steht die zweifelhafte politische Epoche in Italien, in der viele dieser Stätten ersonnen, geplant und umgesetzt wurden, aber: Die Pflege derselben, der ehrwürdige und feierliche Umgang mit dem Erinnern und dem Gedenken, der bis ins Heute reicht, sind aller Ehren wert! Mit der Rückfahrt, die auf einer anderen Route vorgenommen wurde und auf der mit Erreichen einer tiefen dreistelligen Seehöhe auch wieder das Gaudium im Wagen eingesetzt hat, hat der ereignisreiche, lange Tag ein erfüllendes Ende genommen.
Tag 4 – An den Isonzo
An diesem Tag haben wir den Piave verlassen
und sind, dem zweiten Inhaltsschwerpunkt unserer Reise folgend, gen Görz
aufgebrochen. Zuvor jedoch haben wir der Empfehlung unseres Hoteliers folgend,
das örtliche historische Museum in San Dona aufgesucht. Die Angestellten haben
uns mit großem Erstaunen in Empfang genommen und mit ebensolchem Enthusiasmus
in die Wegeführung des Museums eingewiesen. Später hat sich in uns der Eindruck
verfestigt, dass wir die ersten und einzigen Besucher seit längerem waren. Das
Museum umspannt einen Informationsbogen von den alten Römern bis zur Moderne
und entwickelt dabei eher den Charakter eines Heimatmuseums, wenngleich auch
ein Raum dem 1. Weltkrieg gewidmet ist.
Die Autobahnen meidend, haben wir uns dazu entschlossen die ehemaligen Nachschubwege (heute SS14) zur Piavefront zu benutzen um einen besseren Eindruck von den langen Distanzen und sonstigen Verhältnissen zu bekommen, die dem österreichisch-ungarischen Train und Nachschub vor hundert Jahren alles abverlangt haben. Kurz vor Cervignano haben wir dann auch als „Meilenstein“ des Anreisetages nach Görz jenen alten Grenzstein gefunden, der seinerzeit die Grenze zwischen der Monarchie und Italien markierte. Unmittelbar am Flüsschen Ausa steht die als Obelisk ausgeführte Wegemarkierung. Nach einer kurzen Rast an dieser historischen Stätte haben wir unsere Weiterfahrt in frohgemuter Stimmung, stets durch irrige Ansagen des Navigationsgerätes aufgeheitert, fortgesetzt und sind über Gradisca nach Görz gefahren.
Tag 5 – Im Karst
Viel haben wir im Vorfeld und in der
Programmzusammenstellung darüber geredet. Der Autor dieser Zeilen – der als
einziger Vertreter des Vereins bereits vor Ort war – hat oftmals in den schillerndsten
Farben das überwältigende und pompöse der Gedenkstätte hervorgehoben und auch dessen
Umgebung in glühenden Worten geschildert. Redipuglia – das größte und erhabenste
Monument der italienischen Verehrungs- und Erinnerungskultur an den 1.
Weltkrieg. 100.000 Soldaten der italienischen 3. Armee liegen dort begraben,
die in einem monumentalen Bauwerk mit 22 Plateaus gemeinsam mit ihren
Heerführern die letzte Ruhestätte gefunden haben. Nun, als wir das Ziel am Vormittag
erreichten und alle bereits gebannt dem Monument entgegenfieberten, ereignete
sich das schier unmögliche: Baustelle – Kein Zutritt! Das Areal war großräumig
abgesperrt, überall konnte man rege Bautätigkeit erkennen. Trotz oder wegen der
Entfernung vom gegenüberliegenden Parkplatz ist die Größe und Dimension der
letzten Ruhestätte so vieler Gefallener überwältigend. Wir haben, der Unausweichlichkeit
ins Auge blickend, die Enttäuschung schnell weggesteckt und uns, dem vor uns
liegenden, Colle Sant Elia zugewendet, der den Parco della Rimembranza
beherbergt. Auf diesem Hügel, hat man, ergänzend zum Heldenfriedhof Redipuglia,
eine Gedächtnisstätte aufgebaut und den einzelnen, am Krieg beteiligten,
Waffengattungen eine Huldigungsstätte errichtet.
Beschattet von einem duftenden Pinienhain, beschreitet man den kleinen Hügel und geht dabei an schmucken Ehrenmalen vieler Waffengattungen vorbei, die mit poetischen Sprüchen versehen und mit ihren charakteristischen Utensilien bestückt sind. Ergänzt wird die Anlage von allerlei Kriegsgerät, vorwiegend Kanonen und Haubitzen der unterschiedlichsten Typologien. Auch österreichisch-ungarische Modelle finden sich hier. Als die 12:00-Uhr-Glocken an diesem Tag die Mittagszeit einläuteten und wir aus der Ferne eine zielstrebige Bewegungsflut der italienischen Bauarbeiterschaft in Richtung der Kantine ausmachten, fassten wir blitzschnell den Plan, dem Heldenfriedhof Redipuglia doch noch einen Besuch abzustatten um, dessen nunmehr verwaiste Lage im Zuge der Mittagspause ausnutzend, einen Blick aus der Nähe auf die ehrfurchtgebietende Stätte zu werfen. Wie vorhergesehen, war die bergseitige Sektion des Heldendenkmals tatsächlich geräumt und wir konnten für ein paar Minuten die Anlage betreten und uns von der außergewöhnlichen Ästhetik in den Bann ziehen lassen.
Ein paar hundert Meter weiter von Redipuglia, in Fogliano, liegt der österreichisch-ungarische Soldatenfriedhof. Auf dem Weg zur nächsten Etappe haben wir auch dort Halt gemacht und die letzte Ruhestätte der österreichisch-ungarischen Verteidiger besucht. Der Soldatenfriedhof ist in einem guten, gepflegten Zustand und man wird beim Eingang auch darüber informiert, dass bereits Papst Franziskus dieser Gedenkstätte einen Besuch abgestattet hat. Viele ungarische Soldaten liegen an diesem Ort der in Summe die Überreste von 14.550 österreichisch-ungarischen Soldaten beherbergt. Streng ausgerichtet und in ein saftiges grün gebettet, findet man auf den Grabsteinen so manche Namen, dessen Träger erst 18, 19 oder 20 Jahre zählten. Dessen gewahr, macht sich tiefe Betroffenheit und gedankenvolle Stille unter uns breit, die wir hier allesamt in weit höherem Alter und in aller Friedfertigkeit dazwischen hin und her schreiten.
Nach einem angenehmen Mittagessen in Gradisca haben wir den Monte San Michele erreicht. Dieser vorderste Gipfel des Karsthochplateaus im Süden von Görz markierte in den ersten Isonzoschlachten den heißumkämpften Eckpfeiler der ö.-u-Verteidigungslinie. Nach der italienischen Kriegserklärung am 23.05.1915 hat Österreich-Ungarn aus strategischen Gründen und im Angesicht der italienischen Übermacht die erste Verteidigungslinie erst am Karsthochplateau errichtet und das Anrennen der italienischen Angriffswellen erwartet. Erst in der fünften Schlacht gelang es der ital. 3. Armee unter enormen Verlusten den Monte San Michele einzunehmen. Die dort eroberten Stellungen der Österreicher wurden besetzt und für die eigenen Zwecke umgebaut. Heute findet man am Monte San Michele (375m Seehöhe) ein kleines Museum sowie ein beeindruckendes Freilichtmuseum, dass einen guten Eindruck in den ital. Stellungsbau ermöglicht. Gut ausgebaute und leicht gängige Wege führen durch das Gelände und man erhält einen grandiosen Blick über das ehemalige Schlachtfeld im Karst und kann bei schönem Wetter bis an die Adria sehen. Ein abendlicher Spaziergang in Görz rundete einen bemerkenswerten Tag stilvoll ab.
Tag 6 – Der Monte San Gabriele
Nach der 6. Isonzoschlacht, als die Italiener
Görz eingenommen haben (schon zuvor wurde der Monte Sabotino am rechten
Isonzoufer den österreichischen Verteidigern entrissen) trat jener kleine
Gipfel nördlich von Görz immer mehr in den Mittelpunkt der Ereignisse, den wir
an diesem Tag erklimmen wollten. Langsam kämpften sich die Italiener im Verlauf
von 9 Schlachten heran, wurden jedoch von den Österreichern immer wieder
abgewiesen. Nach der 10. Schlacht stand man in unmittelbarer Nähe am Monte
Santo und konnte dem Berg direkt ins Antlitz blicken. Die 11. nun sollte für
die Angreifer die Entscheidung bringen. Als die Hochebene von
Bainsizza-Heiligengeist erobert war und der Berg als letzter Eckpfeiler der
österreichischen Verteidigung an der Isonzofront noch gehalten wurde, ließ
Cadorna alles aufbieten was die Italienische Angriffsmacht zu bieten hatte. In
einer unglaublichen Material- und Menschenschlacht wurde der Berg von in Summe
ca. 80.000 Mann bestürmt, dabei flogen Granaten aller Kaliber ununterbrochen
auf die Verteidiger. 10.000ende auf beiden Seiten sind auf seinen Hängen gefallen.
Die Österreicher hielten durch und konnten den Gipfel bis zuletzt halten. Der
Berg des Todes – der Monte San Gabriele – blieb in österreichischer Hand.
Viel hatten wir über diese Erhebung (646m Seehöhe) gelesen, die wir am 6. Reisetag als Ziel ausgegeben haben. Entlang von gut markierten Wegen, vorbei an einem Denkmal für die 20. Honved Infanteriedivision und an ehemaligen Sanitäts- und Versorgungskavernen haben wir nach einer guten Stunde den Gipfel erreicht. Da der Berg heute, im Gegensatz zu früher, vollkommen bewaldet ist, wurde auf seinem Gipfel eine über den Baumwipfeln liegende Aussichtsplattform errichtet, die es uns erlaubte, bei Kaiserwetter eine fantastische Rundumsicht der gesamten Region zu erhalten. Ausgestattet mit historischem und aktuellem Kartenmaterial konnten wir von dort oben detailgenau den Frontverlauf der 10. und 11. Isonzoschlacht nachvollziehen, konnten die Gipfel des Monte Sabotino, des Monte Santo vor uns und jene des Monte San Michele seitlich erkennen. Das Hochplateau von Bainsizza-Heiligengeist lag ausgebreitet vor uns und das Tal nach Cepovan, welches am Ende der 11. Isonzoschlacht die Frontlinie markierte, bildete mit seinem tiefeingeschnittenen Talgrund eine markante, dunkle Absenkung die sich gut sichtbar aus der graugrünen bewaldeten Hochebene abhob. Zu unseren Füßen konnten wir den Isonzo verfolgen, dessen türkis-blaue Färbung bis zu uns herauf leuchtete. Noch einige Zeit blieben wir dort oben stehen und ließen die Eindrücke auf uns wirken, stets im Bewusstsein, welch grauenvoller Ort dieser Berg vor 100 Jahren gewesen sein musste. Den Rückweg absolvierten wir entlang des Rundweges und kamen so an gut ausgebauten österreichischen Stellungen vorbei. Noch heute erkennt man im Wald die Laufwege, die Kampfdeckungen, MG-Stellungen, Kavernen, die erste und die zweite Verteidigungslinie. Unvergessen wird uns allen jene Kampfstellung bleiben, die unmittelbar am Abhang angelegt wurde und uns einen Eindruck vermittelt hat, was es für die italienischen Soldaten bedeutet haben musste, an dieser Stelle und an diesem Berg einen Angriff vom Tal aus zu führen. Erschaudernd haben wir uns auch in die Lage der österreichischen Verteidiger versetzt und das Angriffswesen nachvollzogen, dass zuerst die Artillerievorbereitung, teilweise auch mit Gas, dann den Infanterieangriff vorsah. Wir gingen in die Laufgräben, soweit diese begehbar waren und versuchten uns vorzustellen wie die Soldaten nach dem Alarm aus den Kavernen und Unterständen liefen und sich den Italienern entgegenwarfen. MG´s, Handgranaten, Gewehre haben die abgehetzten, den Berg teilweise ob der Steigung auf allen Vieren erklimmenden Gegner scharenweise niedergestreckt. Unfassbarkeit und Kopfschütteln machte sich bei uns breit, wenn man sich heute die Gegebenheiten vor Ort ansieht. Trotz des schönen Wetters haben wir nachdenklich den weiteren Rundweg beschritten und sind aufgerüttelt, aber um viele Erkenntnisse reicher, zum Wagen zurückgekehrt.
Nun hieß es, für das leibliche Wohl zu sorgen, so sind wir nach Solkan, dem Stadtteil am Fuße des Monte San Gabriele, gefahren und haben dort, Geist und Körper erfrischt und die „Batterien“ wieder aufgeladen. Den Abschluss des Tages bildete der Besuch der alten Eisenbahnbrücke sowie eines in der Nähe befindlichen österreichisch-ungarischen Soldatenfriedhofs. Die Eisenbahnbrücke war zum Zeitpunkt ihrer Errichtung 1908 die weltlängste Steinbogenbrücke, wurde im Verlaufe der 6. Isonzoschlacht von den Österreichern gesprengt und nach dem Krieg, zuerst als Provisorium, später dann originalgetreu von den Italienern wieder errichtet. Heute bietet die Gegend um die Brücke einen beliebten Treffpunkt, vor allem für die jungen Leute der Stadt. Es finden sich ein Kletterpark an ihren Pfeilern und im Isonzo unter der Brücke wurde ein Übungsparkour für Wildwasserpaddeln eingerichtet. Der letzte Programmpunkt dieses Tages war der Besuch des österreichisch-ungarischen Soldatenfriedhofs unweit der Brücke. Hinter den Eisenbahngeleisen gelegen und nicht beschriftet, finden ihn nur wenige Besucher, so bildet er unter all den besuchten Grabstätten ein eher verborgeneres Beispiel, obschon seine Lage umgeben der drei Berge (Monte Sabotino, Monte Santo, Monte San Gabriele) und direkt am Fluss eine ausgesprochen beeindruckende ist. Inmitten des Friedhofs steht eine steinerne Pyramide mit einer simplen Aufschrift: „Ich hatt´ einen Kameraden“.
Tag 7 – Heimfahrt
Der Tag der Heimreise führte uns entlang des Isonzo, vorbei an all den Schlachtfeldern gen Norden, wo wir um die Mittagszeit Kobarid erreichten. Wie immer, erwies sich der Besuch des dortigen Museums als ein besonderes Ereignis, denn neben der grandiosen Ausstellung und dem phantastischen Geländerelief, das auf herausragende Weise die Kriegslage im Raum Flitsch – Karfreit – Tolmein zeigt, ist immer was los. So auch diesmal. Wir wurden bereits beim Eintritt darauf hingewiesen, dass für diesen Tag der slowenische und der ungarische Ministerpräsident angekündigt sind, und wir gegebenenfalls die Anweisungen des Sicherheitspersonals zu befolgen hätten. Diese Aussicht tat unserem Wissensdurst natürlich keinen Abbruch und wir ließen uns auch durch die tatsächlich eintreffende Phalanx im Umfeld der beiden Politiker nicht vom exakten Studium der ausgestellten Exponate abhalten. Im Buchshop gab es diesmal keine Neuigkeiten, sodass wir ohne Bibliothekszuwachs, aber mit beträchtlichem Wissensgewinn, die Weiterreise antraten. Ein letzter Stop in Log pod Mangartum beim Kaiser-Josef-Hilfsstollen und beim dortigen Soldatenfriedhof hat uns einerseits über die österreichischen Ingenieurleistungen informiert und andererseits über die bosnischen Truppen und deren Kampf und Sterben für das Kaiserreich Erkenntnisse gebracht.
Über den Predilpass zurückfahrend haben wir
uns am Raibl-See in erneut herrlichem Sonnenschein auf die Terrasse gesetzt und
das Mittagessen genossen, bevor wir, den Rundkurs beim alten Grenadier in
Tarvis beschließend, wieder die Autobahn erreichten und gen Wien das letzte
Wegstück in Angriff nahmen.
Fazit und Ausblick
Die zweite Studienreise des Instituts für Historische Studien wird uns noch lange in Erinnerung bleiben und wir werden die Erfahrungen, Erkenntnisse und Emotionen bewahren und in die Vorbereitung der nächsten Reise, die uns an den ehemaligen Krieg im Osten, nach Lemberg und darüber hinaus führen wird, einfließen lassen. Wir konnten uns vor Ort direkt mit Ereignissen des Kriegsgeschehens an der ehemaligen Südwestfront auseinandersetzen, haben viel über taktische, strategische und topographische Zusammenhänge gelernt, wir konnten in Landschaften und Regionen eintauchen, haben den Duft und die Kulinarik des Südens genossen, aber und vor allem, konnten wir den Bruchteil einer Ahnung gewinnen, was es bedeutet haben musste, am Monte San Michele, am Monte Grappa, am Monte San Gabriele und in so vielen anderen Kriegsschauplätzen, als Soldat in diesem Krieg eingesetzt zu werden und täglich um sein Leben zu kämpfen.
Wie gesagt, nur den Bruchteil einer Ahnung…
Autor und Fotos: Rostek Marko, Mitglied des Vorstands